Mareike Lotte Wulf

Was Deutschland und Japan voneinander lernen können

 

Was Deutschland und Japan voneinander lernen können

 

Drei Schlussfolgerungen aus meiner Japan-Reise mit dem Ausschuss für Arbeit & Soziales

Schwerpunkt: Demographischer Wandel

 

1. Japan und Deutschland haben ähnliche Werte und ähnliche Herausforderungen. Das Verhältnis beider Länder zu pflegen und auszubauen liegt daher im beidseitigem Interesse.

2. Japan ist eine der wenigen stabilen Demokratien in Asien und muss gerade angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine als außenpolitischer Partner Deutschlands erkannt und unterstützt werden.

3. In der fairen Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit sowie einer modernen Unternehmenskultur liegt ein zentraler Schlüssel zur Bewältigung des demographischen Wandels in Japan und in Deutschland. Wenn es die Japaner nicht schaffen, ihren Arbeitsmarkt und ihre Unternehmenskultur schnell und grundlegend in diesem Sinne zu reformieren, sind sie nicht zukunftsfest aufgestellt.

 

Ähnliche Werte. Ähnliche Herausforderungen

Big in Japan – der Song von Alphaville erschien Mitte der 80er Jahre. Zufällig ist das auch die Zeit des großen Aufschwungs in Japan. Maschinen- und Autobau in bis dato unbekannter Präzision bescherten der Nation einen Aufschwung, von dem die Japaner bis heute zehren. Als eine der wenigen verlässlichen und stabilen Demokratien in Asien steht Japan uns politisch wie wirtschaftlich nahe. Marktwirtschaft und Demokratie zu vereinen, das schaffen ansonsten nur Taiwan und Südkorea.

Dabei haben sich in Japan ähnliche Herausforderungen wie in Deutschland herausgebildet. Unter anderem verfügen die Japaner über einen stark ausgebauten Sozialstaat und eine hohe Verschuldung. Gleichzeitig entwickelt sich der demografische Wandel zu einem volkswirtschaftlichen wie sozialen Problem. Japans Gesellschaft ist die am schnellsten alternde weltweit. Mit einem hohen Durchschnittsalter (48 Jahren) und einer niedrigen Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau zeichnen sich sowohl Engpässe in den Pflegeberufen als auch allen weiteren Wirtschaftsbereichen ab. Bis 2060 wird Japan wohl über 20% seiner Bevölkerung verlieren.

Mit ähnlichen Werten und Herausforderungen können Japan und Deutschland sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen.

Japan ist ein wichtiger außenpolitischer Partner Deutschlands

Mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine erlebte auch das politische Japan einen Schock. Denn der Tabubruch der Verletzung einer international anerkannten Grenze lässt die Wahrscheinlichkeit weiterer Grenzverletzungen steigen.
Dabei ist die Bedrohung für Japan gar nicht so weit weg, wie es zunächst scheint: So zeigte China bereits mit dem großangelegten Manöver vor Taiwan seine expansiven Machtansprüche.

Ähnlich wie Deutschland ist Japan als drittgrößte Volkswirtschaft weltweit zwar ein wirtschaftlicher Riese, jedoch ein militärischer Zwerg. In der Landesverteidigung haben sich die Japaner bisher vollständig auf die Amerikaner verlassen, die als “United States Forces Japan” einen militärischen Großverband in Japan mit Hauptquartier auf Honshū betreiben. Gleichzeitig unterstützt Japan, anders als China, die Sanktionen gegen Russland vorbehaltlos und steht damit eng an der Seite des Westens. Japan ist daher auch ein wichtiger außenpolitischer und strategischer Partner Deutschlands.

Niedrige Geburtenraten und traditionelles Familienbild in Japan

Der Wunsch, Kinder zu bekommen, ist mit 2,2 Kindern bei jungen Japanerinnen ähnlich ausgeprägt wie bei uns. Die Geburtenrate von 1,3 in Japan (zum Vergleich: 1,6 in Deutschland) zeigt, dass Frauen wesentlich seltener ihren Kinderwunsch realisieren als sie es gerne würden. Anders als in Deutschland ist es in Japan bisher noch weniger gelungen durch politische Maßnahmen die Bedingungen für die Realisierung des Kinderwunsches von jungen Menschen zu verbessern; auch wenn eine durchschnittliche Geburtenrate von 1,8 immer wieder politisch erklärtes Ziel verschiedener japanischer Regierungen war.
Dabei gibt es auch in Japan ein Elterngeld, das ähnlich aufgebaut ist wie in Deutschland. Drei große Kita-Offensiven haben dafür gesorgt haben, dass es weniger schwierig sein soll als in Deutschland einen Betreuungsplatz zu bekommen.
Dennoch: Anders als in Deutschland hat sich im Familienbild in Japan in der Vergangenheit wenig bewegt. Es ist weiterhin undenkbar, dass Kinder außerhalb einer Ehe zur Welt kommen oder in einer Patchworkfamilie aufwachsen. Ähnlich wie in Deutschland gelingt es bisher nur in zu geringem Umfang, dass sich Väter an der Sorgearbeit beteiligen, so dass „Mutter werden“ mit massiver Doppelbelastung verbunden ist.
Der ausschlaggebende Punkt ist allerdings ein arbeitsmarktpolitischer. In Japan hat eine Frau nach der Geburt eines Kindes nur die Wahl zwischen einer Vollzeitbeschäftigung, die schwer mit der Doppelbelastung vereinbar ist. Oder sie wählt eine Teilzeitbeschäftigung, die als periphere Beschäftigung ohne Sozialversicherung und ohne weitere Karriereaussichten ist. So stellt sich die Frage für japanische Frauen zwischen Beruf oder Kindern entscheiden zu müssen, wesentlich stärker als bei uns. Ein wichtiger Hebel für Japan wäre genau dies zu verändern und Frauen, die Kinder bekommen, nicht aus dem regulären Arbeitsmarkt zu drängen.

Fazit

Diese Reise hat nicht nur gezeigt, dass Japan und Deutschland wichtige Partner mit vielen Gemeinsamkeiten sind. Wir können uns bestätigt fühlen in einer Gesellschaftspolitik, die darauf abzielt, die Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen fairer zu verteilen. Auch in Deutschland ist sicher nicht alles gut, aber erste Wirkungen konnten Elterngeld und Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz bei der Geburtenrate bereits erreichen. Dass Familienpolitik eben nicht ausreichend ist, um bessere Bedingungen für Paare mit Kinderwunsch zu schaffen wurde auch deutlich. Familienpolitik kann erst dann wirken, wenn Unternehmenskultur und Arbeitsmarkt, es Menschen und insbesondere Frauen erlauben, Kinderwunsch, soziale Sicherung und Aufstiegschancen zu verbinden. Aktive Gleichstellungspolitik und eine Modernisierung der Arbeitswelt gehören daher hinzu. In diesem Sinne sind wir in Deutschland viele richtige Schritte gegangen, die in Japan bisher nicht möglich waren. Weitere müssen auch bei uns folgen.